Wer dem Begriff Hochsensibilität zum ersten Mal begegnet und sich davon auf seltsame Weise sofort angesprochen fühlt, möchte verständlicherweise als Nächstes herausfinden, ob er/sie tatsächlich zur Gruppe der Hochsensiblen gehört und sucht demzufolge nach einem klärenden HSP-Test (HSP = Highly Sensitive Person).
Nicht absolut zuverlässig …
Dazu möchte ich sagen: Es gibt keinen ultimativen Test, kein wirklich zuverlässiges „Diagnoseverfahren“, mit dem man Hochsensibilität zweifelsfrei feststellen kann. (Schon der Ausdruck Diagnose passt natürlich nicht, da es sich eben nicht um eine Störung oder eine Krankheit handelt.)
Auch ein Test, bei dem am Ende eine Auswertung mit einer bestimmten Punktezahl herauskommt, liefert – auch wenn dies so scheinen mag – kein wirklich gesichertes Ergebnis.
Man sollte dabei auch sehen: Das Prinzip der Fragestellungen in gängigen „Tests“ ist einheitlich und sehr offensichtlich, das Ergebnis somit leicht manipulierbar. Die Beantwortung unterliegt einer subjektiven und zudem auch stark situativen Einschätzung. Und schließlich fällt die Einschätzung nicht immer leicht. Wie will man zum Beispiel beurteilen, wie sehr die Aussage „Ich besitze ein reiches, vielschichtiges Innenleben“ zutrifft? Es muss einem ja erst einmal klar werden, dass andere sich nicht nur anders verhalten, sondern auch grundlegend anders wahrnehmen und empfinden.
… jedoch durchaus aufschlussreich
Dennoch sind die mehr oder weniger umfangreichen Fragenkataloge, die im Internet und in Büchern zu finden sind, sehr wohl aufschlussreich und hilfreich für Selbsterkenntnis und Selbstverständnis. Viele Menschen bekommen so überhaupt erst einmal eine Vorstellung davon, welche Eigenschaften (auch Stärken und Begabungen!) und welches Erleben üblicherweise mit Hochsensibilität einhergehen, und sie können sich auf einmal viele bis dahin isolierte Einzelphänomene zusammenreimen. Für diejenigen, die sich also von dem Ausdruck Hochsensibilität angesprochen und berührt fühlen, die damit in Resonanz gehen, kann es lohnend sein, sich intensiver mit dem Phänomen auseinanderzusetzen, zum Beispiel ein Buch darüber zu lesen (im Bild oben: mein Buch „Mit viel Feingefühl“ aufgeschlagen auf Seite 13).
Auch der Informations- und Forschungsverbund für Hochsensibilität e.V. (IFHS) ist im Hinblick auf Fragebögen skeptisch und empfiehlt, „eine Weile den Gedanken, eine HSP zu sein, quasi versuchsweise ‚mit sich herumzutragen‘ und nach einiger Zeit zu prüfen, ob sich die Lebensqualität gebessert hat oder man nach anderen Erklärungen für das besondere Lebensgefühl suchen muss.“
Eine gute Idee, finde ich.
Werde ich gefragt, wie man denn sicher sein könne, ob man hochsensibel ist, weise ich darauf hin, dass von der zweifelsfreien Feststellung eigentlich nichts abhängt (man wird schließlich kein Medikament einnehmen und bekommt auch keinen „Pass“ ausgestellt!).
Ererbte Hochsensibilität oder erworbene hohe Empfindlichkeit
Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt: Neben der ererbten Hochsensibilität gibt es auch eine hohe Empfindlichkeit, die sich erst im Laufe des Lebens einstellt – mit ähnlichen Kennzeichen, wie unter anderem erhöhte Anspannung, Wachsamkeit, Verletzlichkeit und Reaktivität. Gründe für eine erworbene hohe Empfindlichkeit können unter anderem traumatische Erlebnisse, körperliche Krankheiten, organische Funktionsstörungen sein oder das Nervensystem schädigende Vergiftungen oder Strahlenbelastungen. Auch vorgeburtliche Einflüsse kommen als Ursache in Betracht.
(Hinweis: eine vorhandene Hochsensibilität kann sich durch traumatische Erlebnisse, Erkrankungen, Vergiftungen oder Umweltbelastungen noch deutlich verstärken.)
Ein wesentlicher Unterschied zwischen erworbener hoher Empfindlichkeit und anlagebedingter Hochsensibilität ist wohl darin zu sehen, dass bei einer erworbenen hohen Empfindlichkeit die typischen Stärken als Ressourcen fehlen, wie zum Beispiel die generelle nuancenreiche Wahrnehmung, der Sinn für Ästhetik und Stimmigkeit, das besondere Einfühlungsvermögen, die bereichernde Tiefe und Fülle des Empfindens.
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